Ich besitze mehrere alte Stringensembles und habe deshalb ein vorbelastetes Gehör. Ach ja, ein herrlicher Dr. Böhm Phasing Rotor 78 als Effektkistchen ist auch noch dabei.
Das Streichfett ist bei mir im Einsatz, um gelegentlich platzsparend gemeinsam mit dem Untermanual einer Clavia C1-Orgel live zu erklingen. Man versucht ja die alten Kisten zu schonen.
Kurz: Das Streichfett ist eine feine Idee und eigentlich gut umgesetzt mit einem entscheidenden Manko. Dieses wird in den meisten Artikeln und Youtube-Videos damit umschrieben, dass das Streichfett kein spezielles altes Original nachbilde, sondern eine eigene Interpretation der Gattung Stringensemble darstelle. Das ist etwas blumig ausgedrückt.
positiv:
- Die simulierte phasenstarre Oktavteiler-Klangerzeugung ist perfekt gelungen.
- Die stufenlose Wellenformeinstellung ist originell.
- Der Stringensemble-Sound steht mit etwas Stereobasis zur Verfügung und hat mono abgegriffen praktisch denselben Sound. Vor allem der nachgeschaltete Hall ist in breitem Stereo ausgelegt. Bei den alten Eminent-Orgeln klingt der Ensembleeffekt stereo wie mono zwar leicht unterschiedlich, aber jeweils wunderschön. Die meisten Stringensembles waren aber mono ausgelegt.
- Die grundsätzliche Ausstattung ist praxisgerecht.
- Die Klangspeicher morphen ihre Einstellungen beim Umschalten: Kein abreißender Klang.
- Die möglichen massiven Klangergebnisse mit minimaler Schrauberei beeindrucken schwer.
negativ:
- Die bekannten wackelnden Potis
- Fehlender Filter
- Wenigstens ein wählbarer Einzelausgang für den Solosound wäre schön gewesen.
- Der tatsächlich negativste Punkt ist die beworbene angebliche Stärke des Instruments: Der Stringensemble-Effekt ist eine seltsam drahtig und unterkühlt klingende Simulation des Originaleffektes. Das wird im Youtube-Video, wo Streichfett und Hohner string melody verglichen werden, klanglich sehr deutlich hörbar. Man kann das Streichfett gegen nahezu jedes beliebige andere analoge Schätzchen antreten lassen und wird feststellen: Der klassische Triplechorus-Effekt klingt anders.
Diese Kritik will ich näher erläutern. Der Ensemblesound klingt in der linken Schalterstellung schauderhaft eiernd. Im Prinzip, wie der Digital-Ensemble-Effekt eines 90er-Jahre-Synthesizers einfach in verstärkter Ausführung. Etwas Schlechtes wird nicht automatisch besser, indem man einfach mehr davon macht. Die zusammengeführten Delay-Sounds verschmelzen nicht schön wie bei den analogen Originalen, sondern ertönen separat hörbar umeinander eiernd. Dieser Ensemblesound pur ist musikalisch nur schwer verwertbar. Außer, man hört ihn sich durch langsame Gewöhnung schön. Erst das Kaschieren mit Phaser oder Hall mildert den unangenehm inhomogenen Effektklang. Das ist deutlich auch in allen Präsentationen und Youtube-Videos zu hören. Es gibt phantastische Demos, die aber alle mit massiv Phaser und Hall arbeiten. Einzig bei den Vokal-Wellenformen fällt mir die übertriebene Modulation in linker Schalterposition nicht unangenehm auf.
Als Test habe ich das trockene Ausgangssignal des Gerätes in den Dr. Böhm- Effekt geführt. Plötzlich hat das Kistchen genau den Sound, den man von einem Stringensemble erwartet: Rauh, aber nicht eiernd, synchron raspelnde Akkorde. Mehr eine flirrende Klangfarben-Veränderung als ein Vibrato-Mischmasch. V8-Sound in die Sphäre der Musik transformiert. Auf einmal klingt es, je nach eingestellter Wellenform, nach Solina, Eminent, Hohner, Opus3, was du willst... Trocken genauso schön anhörbar wie mit Hall und Delays weiterverarbeitet. Wieder zurück geschaltet zum Streichfett-Ensemble: Die mittlere Schalterstellung klingt angenehmer, weil schwächer, erzeugt aber auch nicht den typischen Klang der drei phasenverschobenen Delays, da zu deutlich klassischer Chorusklang dabei ist.
Natürlich kann man sagen, dass das eine eigene Version des Ensemble-Effektes sei, aber bei manchen VST-Produkten oder dem Nord Lead A1 ist die virtuell-analoge Simulation des Effekts ja klanglich auch richtig gut gelungen. Es war ja durchaus auch in der Vergangenheit so, dass die Stringmachines unterschiedlicher Hersteller deutlich unterschiedlich geklungen haben. Manche hatten einen wärmeren, andere einen unterkühlteren Klang. Es gibt Stringensembles, die nur gut klingen, wenn man sie mit viel Hall oder Echo hört. Andere klingen schon im Rohzustand betörend schön. Die unzweifelhaften Sieger in dieser Disziplin sind Solina String-Ensemble und Hohner/Logan String Melody. Wieso also programmiert Waldorf heutzutage eine Stringmachine, indem eine phantastische Klangerzeugung mit einem sehr eigen klingenden String-Chorus kombiniert wird, der auch schon vor vierzig Jahren im Hörvergleich gegen Solina & Hohner verloren hätte?
Ich habe drei Vermutungen: Erstens könnte es sein, dass man sich im Hause Waldorf aus mir unerfindlichen Gründen entschieden hat, die übliche Ensemble-Schaltung mit den drei Delays mit zwei LFOs einfach nicht umzusetzen und hat irgendetwas anderes programmiert. Oder zweitens, es ist tatsächlich diese Schaltung, nur mit zu starken Modulationen oder zu langem Delay versehen. Oder drittens, der verwendete Prozessor wäre mit der Standardschaltung überfordert gewesen weil er alles andere schon perfekt macht, sodass man möglicherweise beschlossen hat, einfach zwei Delays evtl. mit einem trockenen Signalanteil zu mischen. Das klingt nämlich auch (irgendwie) nach Ensemble, aber eben nicht richtig. Eier-Ensemble für Arme sozusagen. So ist man bei Waldorf leider gezwungen, aus dem Unvermögen eine Tugend zu machen und zu behaupten, dass das Gerät keine bestimmte alte Kiste simuliere...
Ich werde das Kistchen dennoch behalten, da es für Livezwecke die raumsparendste und im Bandkontext dennoch halbwegs ausreichend nach Stringensemble klingende Kiste ist. Insgeheim hoffe ich zwar, dass Waldorf eines Tages ein Software-Update für den Effekt veröffentlicht, aber ich vermute, dass es dazu nach vier Jahren Produktionszeitraum nicht kommen wird. Bis dahin wird das Streichfett einfach an das vierzig Jahre alte Dr.-Böhm-Effektkistchen gehängt, wenn ich mal komplett authentischen Ensemblesound per MIDI brauche. Bei einem Nord Lead A1 bekäme ich einen Haufen Zeug dazu, das ich nicht brauche.
Übrigens habe ich manchmal noch einen Waldorf 2-pole nachgeschaltet, mit dem man das Streichfett (mono nur) wunderbar filtern kann.
P.S.: Eines Tages wird möglicherweise (Streichfett II) mit analog klingendem Ensemblesound kommen. Frühestens dann werden meine ganz alten Kisten bei Ebay landen.
P.P.S.: Der Yamaha TG77 kann bei geschickter Programmierung der (eigentlich schwachen) Effektsektion einen deutlich überzeugenderen String-Chorus erzeugen.
P.P.P.S. (25.3.20): Ist immer noch im Einsatz. Es hat Konkurrenz ins Haus bekommen: Behringer VC340. Dessen Strings klingen nicht sehr viel wärmer (Die Voice-Sounds aber schon). Der Synthmaster One fürs iPad hat einen von Parametern strotzenden Ensemble-Effekt, der nach etwas Feintuning unfassbar warm klingt - Die erste digitale Alternative für Hohners String Melody.