Vorsicht: langer Text. Für Lesefaule gibt's am Ende ein kurzes Fazit. Jetzt geht's zur Sache.
VERARBEITUNG
Das Teil ist gebaut wie ein Panzer. Nach 1,5 Monaten fast täglichem drauf-Rumtreten daheim und im Proberaum hat es noch keinen Kratzer. Die beide Tret-Schalter machen einen nicht ganz so stabilen Eindruck wie der Rest des Gerätes - aber bisher alles ok. Der komische aufgesetze Metallbügel hat sicherlich schon dem ein oder andere Drehknopf das Leben gerettet.
BEDIENUNG
Ein paar nicht so offensichtliche Kniffe (z.B. Wie benenne und speichere ich meine Presets? Wie mache ich ein Factory-Reset? Wie ändere ich den Kontrast des Displays? Wie wechsle ich zwischen True-bypass und dps-Bypass?) sind im beiliegenden Handbuch erklärt. Das sollte man sich auf jeden Fall mal einige Minuten angeschaut haben. Im großen und ganzen ist die Bedienung des Gerätes aber super einfach - ja fast schon intuitiv - und es steht immer eindeutig dran, welcher Knopf grad was regelt.
Das Navigieren durch die Preset-Liste per Fußtaster kann u.U. etwas nervig sein, wenn man beide Tasten gleichzetig erwischen muss. Das relativ kleine Display erleichtert die Angelegenheit nicht unbedingt. Wer z.B. auf der Bühne keine Sekunde zu verschenken hat, sollte sich zum M5 unbedingt einen geeigneten MIDI-Kontroller zulegen. Da ich aber nicht ständig den Effekt am M5 wechsle, fällt das für mich kaum ins Gewicht.
SOUND
Einige Leute beklagen sich über den "sound-Fresser M5". Fakt ist: Auch im "true bypass"-Modus und bei ausgeschaltetem M5 (Netzstecker gezogen) kann ich einen merklichen Höhenverlust feststellen. Könnte aber nicht sicher sagen, ob es tatsächlich am M5 liegt, oder an den zusätzlichen 3 Metern Kabel. Und eigentlich stört es mich auch nicht großartig.
UPDATE - habe jetzt mal verschiedene Kabellängen und Kombinationen von Kabeln ausprobiert. Ergebnis: Das M5 im Signalweg gibt immer einen kleinen aber merklichen Dämpfer auf den sound. Auch in "true bypass". ON wie OFF, und auch mit gezogenem Netzstecker. Ob es nun "true bypass" ist oder nicht, kann ich nicht berurteilen; habe das Ding ja nicht aufgeschraubt. Ist aber auf jeden Fall nicht ganz sauber.
Andererseits stört mich das, wie gesagt, nicht wirklich.
Im Betrieb vor dem Amp habe ich ansonsten keinerlei Probleme mit dem M5. Ist das Gerät im "true bypass"-Modus in den FX-loop meines Amps eingeschleift, gibt es beim ON/OFF-Schalten am M5 jedes mal ein "Pop"-Geräusch (plötzlicher Spannungsabfall?). Das muss aber nicht am M5 liegen, sondern könnte genausogut ein Problem am Amp sein - konnte ich noch nicht klären.
Werde weiter testen und hier ggf. updaten, wenn ich mehr weiß.
FEATURES und EFFEKTE
TUNER - simpel, aber gut. Kann durch Halten der "Tap"-Taste erreicht werden. Muted die Gitarre.
NOISE GATE - macht, was es soll. Kann über das setup-Menü erreicht werden. Regulierbarer "threshold" und "decay". Wird global auf alle Effekte und Presets angewandt.
TRUE BYPASS oder DPS BYPASS - Kann über das setup-Menü für jedes Preset individuell festgelegt werden. Wobei fraglich scheint, wie "true" der "true-bypass" wirklich ist.
STEREO IN/OUT - Geil.
MIDI IN/OUT - Geil. (scheinbar kein MIDI thru!)
EXPRESSION PEDAL ANSCHLUSS - Habe leider kein Expr-Pedal. Scheint mir aber ein sehr nützliches Feature.
24 SPEICHERBARE PRESETS - Für mich mehr als genug Speicherplätze. Presets können selbst benannt und auf einem der 24 slots gespeichert werden. Auch Umbenennen und Verschieben (bzw Ersetzen) ist möglich.
EFFEKTE - Ich werde nicht auf alle Effekte eingehen, sondern nur ein paar Gedanken von mir mitteilen. Für einen umfassenden Überblick empfehle ich den Griff zum online verfügbaren "FX Parameters"-Handbuch für das M5/9/13, sowie die ausführlichen Demo-videos eines gearheads, dessen youtube-Name auf "obel" endet und mit "shn" beginnt.
Zuerst sei gesagt: Die Voreinstellungen der Effekte fand ich größtenteils nicht so doll. Aber durch die zahlreichen Einstellmöglichkeiten war immer schnell ein genehmer sound gefunden. Besoders gefällt mir, dass Zeit-basierte Effekte (wie z.B. Tremolo, Flanger, Phaser, Delay/ Echo und einige Filter) flexibel reguliert werden können: Entweder in Hertz (Hz) oder als "Speed"-Wert über einen Drehknopf; oder aber über Tap-Tempo, wobei am Drehknopf dann noch ein Notenwert eingestellt werden kann (von 64stel- bis ganze Note, inkl. Punktierung oder Triolen). Sehr praktisch.
Die Effekte des M5 sind aufgeteilt in fünf Kategorien oder Sektionen: Delay, Modulation, Distortion, Filter, Reverb.
DELAY - Die Delay-Sektion ist DER Grund, warum ich das M5 gekauft habe, und nachwievor ein absoluter Hit. Das "Analog Echo mit Modulation" ist hier mein absoluter Liebling. Auch "Analog Echo", "Digital Delay" (mit oder ohne Modulation) und "Sweep Echo" finde ich sehr gelungen. Und wer ein Stereo-Setup hat, kann "Ping-Pong"-Sound genießen oder sich am atmosphärischen "Stereo-Delay" mit getrennt regelbaren Delay-Zeiten für L- bzw. R-Kanal berauschen. Und wer drauf steht: Alle Delays gehen auch 100% nass. (Außerdem lassen sich einige der Delays bei hoher Feedback-Einstellung zur Selbstoszillation bringen; durch Manipulation der Delay-Geschwindigkeit lassen sich dann abgefahrene Sounds erzeugen.)
MOD - Die Modulation-Effekte nutze ich nur gelegentlich, finde einige aber durchaus empfehlenswert: "Opto Tremolo", "Phaser", "Barberpole Phaser", "Analog Flanger", "Analog Chorus" und "Dimension". Von super-subtil bis voll-auf-die-Fresse ist hier alles dabei bzw einstellbar. Die Chorus-Effekte wirken in mono etwas überladen. In stereo finde ich sie aber grandios. Mein Favourite: "Opto-Tremolo" und "Bias-Tremolo" haben ein "Volume Sensibility"-Parameter. Werde ich lauter (z.B. Overdrive-Pedal zuschalten oder Lautstärke-Poti aufdrehn), dann wird das Tremolo schneller. Cool.
DISTORTION - Mit dieser Sektion habe ich mich lange Zeit schwer getan. An meinem Transistor-Amp klangen die Overdrive und Distortion Sounds allesamt sehr kalt und "billig" - auch Fuzz war nicht viel besser. Habe mir dann einen gebrauchten 1x12er Röhren-Amp besorgt und siehe da: Mit ein bisschen Feintuning sind einige Effekte plötzlich doch ganz brauchbar. "Screamer", "Overdrive", "Colourdrive" und "Fuzz Pi" gefallen mir im low-gain Bereich mit reduzierten Höhen richtig gut. Auch der Bass-Octaver findet gelegentlich Verwendung. Die härteren Distortion-Effekte finde ich nachwievor absolut unbrauchbar (ist aber vllt auch einfach Geschmackssache). Die Kompressor- und Equalizer-Optionen nutze ich nicht - darum dazu kein Komentar.
FILTER - Die WTF?!-Abteilung des M5. Bei den meisten Effekten kann ich mich auch nach 1,5 Monaten rumprobieren nur am Kopf kratzen und fragen: Was soll sowas? Ansonsten: Die Synthesizer klingen cool, sind aber sowas von monophon, dass schon leichtestes gleichzeitiges Schwingen mehrerer Saiten zu Klang-Chaos führt. Nur was für Leute mit makelloser Muting-Technik. Wer sich an digitalen sound-glitches nicht allzusehr stört, bekommt mit "Smart Harmony" oder "Pitch Glide" witzige 12-Saiter sounds oder Whammy-Effekte hin. Letztlich habe ich hier nur "TronUp" und den - etwas speziellen - "Seeker" Sequenzer-Effekt lieb gewonnen. Ist eher was für 1-2 songs als etwas auf Dauer. Zu den Wah-Effekten kann ich nix sagen, weil ich sie in Ermangelung eines Expr-Pedals bisher nicht nutze (Poti-Drehen ist möglich, mir aber zu umständlich).
VERB - Die Reverb-Abteilung ist - nach den Delays - das zweite fette Plus für das M5. Hier gefällt eigentlich alles. "Room", "Plate" und "Hall"-Reverb nutze ich gern und viel. Es gibt Tone-Regler, Pre-Delay bis 200 ms, Decay von gleich-weg bis quasi-unendlich und der Mix reicht von knochentrocken bis 100% nass. Von sehr subtilen Anreicherungen des Gitarrensounds bis hin zu ätherisch-wabernden Ambient-Swells ist alles möglich. Die beiden digitalen Spring-Reverbs kommen, obwohl gut gemacht, dann doch nicht ganz gegen den Federhall meines Röhren-Amps an. "Octo" und "Particle Verb" sind komplizierte Fälle: Einerseits abgefahren-coole sounds, die ich auf jeden Fall für meine Hobby Hörspiel-Produktionen nutzen werde. Andererseits im Band-Kontext kaum zu gebrauchen - es sei denn, man macht Weltraum-Meditations-Musik.
*** FAZIT ***
Das Line6 M5 ist ein absolutes Budget-Monster! Selbst wer (wie ich) nur mit ca. 15 der "100+ Effekte" was anfangen kann, ist bei 119 Euro mehr als gut bedient! Und dabei stehen viele Effekte (insbes Reverb und Digital Delays) vergleichbaren (teilweise sogar teureren) Einzeleffekten qualitativ in nichts nach!
Wer flexible Reverb oder Delay sounds möchte und es nicht unbedingt in analog haben muss, wird die Möglichkeiten des M5 lieben!
Auch Chorus, Flanger und Phaser können sich sehen lassen. Wer eigentlich nur einen dieser Effekte will, sollte sich evtl nach Einzel-Effekten zumindest mal umgesehen haben.
Die Filter-Effekte sind.. nunja, etwas speziell. Aber wer weiß, vielleicht...?!
Für Freundinnen des gepflegten Distortion-Sounds ist das M5 wohl eher nicht zu empfehlen. Dann doch lieber auf nen vernünftigen Röhrenverstärker sparen (sowieso!) und ggf. in ein spezielles Overdrive-/ Distortion-Pedal investieren.